© 2006 Thomas Altpeter |
Mein Weg führt an Lauben und Gärten entlang, ich wandere den Hügel
hinauf, wo der Asphalt mit Schotter wechselt, durch Wiesen und gemähte Felder,
dort auf unbefestigter Rinne, die hier und da Sträucher begrenzen. Und oben:
Der Wald.
Warum bin ich hier der einzige Gast? Ich hatte sogar befürchtet, um
diese Zeit gäbe es kaum freie Zimmer.
Tief in der Nacht, wenn alle schlafen, kommt ein Fremder in das
Dorf. Wie ein herrenloser, struppiger Hund streunt er durch die Gassen,
wechselt die Bürgersteige, obwohl ihm niemand begegnet. Zerrissen sind Hemd und
Hose, Lumpenwickel sind seine Schuhe. Auf dem Marktplatz bleibt er plötzlich
stehen. Hat er ein Geräusch gehört? Sein Blick sucht die Häuserfronten, sucht
die schwarzen Fenster, wandert die Giebel entlang.
Es waren drei sommerliche Tage gewesen. Wehmütige auch. Ich
verbringe das verlängerte Wochenende gerne am Bodensee. Auf der Insel
Reichenau, wo mich alles an die Ferien mit Datura erinnert. Sie schmiegte oft
ihren Kopf zwischen meine Achsel und meine Brust, wenn wir abends am Ufer
saßen. Datura, mein Täubchen. Wir lauschten dann dem schwarzen Flüstern des
Schilfes und fütterten Schwäne. Wie lange ist sie nun fort? Wieviele Jahre?
Bevor ich nach Hause fahre, kaufe ich Wein bei den Brüdern von St. Marien. Man
kennt mich.
Regenwasser goß Schlieren über die Fenster, hatte Dächer und Türme
untergetaucht. Jetzt am Abend, da ich mein Büro verlasse, spritzen nur noch
wenige Tropfen aus der Luft, aber es weht eine starke Brise. Krähenwetter. Bald
bin ich zuhause. Was will die Menschenmenge da? Ist etwas passiert? Jemand hebt
den Arm und streckt den Finger aus. Ein riesiger schwarzer Vogel flattert,
kämpft gegen die Bö, wird beinahe an der Hauswand zerschmettert. Kein Vogel, es
ist eine große Fledermaus. Ich höre die feinen Geräusche, die das verzweifelte
Rudern ihrer Hautflügel verursacht. "Ein Flugmarder" sagt der Mann neben mir
"sie leben eigentlich in den Tropen." Das Tier treibt auf uns zu, daß ich den
Kopf einziehen muß. Mein Nachbar lacht. Ich bahne einen Weg durch die Menge und
betrete das Haus.
Einmal fuhr ein Pferdeschlitten durch die Winternacht. Schneesturm
trieb Eis, heulte und bog schwarze Weidenstöcke. Schnee und Steppe fraß des
Himmels Pechblende wenige Schritte hinter dem Schlitten. Der Kutscher tot.
Erfroren. Ein schwerer Pelz hockte mit eingeknickter, leicht nickender Mütze
auf dem Bock. Peitschenschnur flatterte im Wind. Die drei Pferde hetzten,
streckten ächzend große knochige Köpfe vor. Sie schnaubten. Sie bleckten die
Zähne. Sie bissen vor Angst einander Hälse und Nacken. Angst stachelte ihren
Lauf. Angst vor der Fäulnis, die trotz Kälte vom Kutschbock wehte, Angst vor
dem Wolfschoral, der, bald nah, bald fern, das Heulen des Sturms begleitete.
Einige Gegenstände wurden verschoben. Die Vase hat man nahe der Tischkante gerückt. Die Gläser stehen auf dem Stuhl. Die Strümpfe von gestern liegen am Boden. Annas Sorge wird Angst. "Das ist jetzt schon das dritte Mal." Sie geht durch die Räume, rüttelt an Schranktüren, schaut unter das Bett. "Aber außer mir hat niemand einen Schlüssel. Niemand." Sie sinnt, den Kopf in die Hände gestützt. "Wirklich niemand!" Das Schloß ist unversehrt. Nichts wurde entwendet. Es gibt keine ernsthaften Beschädigungen. Nur die Gewißheit: Jemand war da.
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